DIE HILLBILLIES UND DAS NILKROKODIL
TOBE HOOPERS "EATEN ALIVE" (1976)
von Julian Stockinger

Roberta Collins als Clara und erstes Opfer in "Eaten Alive" von Tope Hooper
„My name is Buck, I’m raring to fuck.“
Wer denkt, dass dieses einprägsame Filmzitat aus der Feder eines genreverliebten Herrn Tarantino stammt, muss gleich an dieser Stelle eines Besseren belehrt werden. Der Meister des filmischen Diebstahls hat abermals zugeschlagen, denn genau mit diesem Satz beginnt bereits Tobe Hoopers Streifen „Eaten Alive“, der zeitweise auch Titel wie „Death Trap“ und „Starlight Slaughter“ tragen durfte und zu Deutsch auch unter dem ebenfalls passenden Namen „Blutrausch“ bekannt ist. Wobei, bekannt ist vielleicht nicht das richtige Wort, wo dieser dreckige, kleine B-Streifen vermutlich immer im dominanten Schatten des vorangegangenen „Texas Chainsaw Massacre“ (1974) stehen wird. Buck wird hier übrigens von niemand geringerem als Robert „Freddy Krueger“ Englund verkörpert und wie in Wes Cravens späterem Kult-Slasher haben wir es keineswegs mit einem angenehmen Zeitgenossen zu tun.
Die junge Clara versucht sich in einem heruntergekommenen Bordell irgendwo in Texas als Sexarbeiterin, doch stößt bereits beim ersten Kunden an ihre Grenzen. Der ortsbekannte und analfixierte Buck wird nämlich ganz schön ungut, nachdem sie seiner gewünschten Dienstleistung nicht Folge leisten will. Er ist im Begriff sie zu vergewaltigen, als Clara laut genug nach der Besitzerin des Etablissements Hattie schreien kann, die auch sofort kommt. Hattie verhindert zwar das Schlimmste, schmeißt die gerade erst eingezogene Clara aber gleicherhand aus dem Haus, woraufhin sie in einer nahegelegenen Pension Unterschlupf findet. Das schäbige Hotel wird vom schrulligen Judd geführt, seines Zeichens stolzer Besitzer eines Nilkrokodils, welches er übrigens von Buck geschenkt bekommen hat. Clara muss bereits nach kürzester Zeit feststellen, dass dies nicht der Ort ist, an dem sie erleichtert aufatmen wird.
Ein Krokodil im Garten lässt nicht lange auf sich warten.
Dass das afrikanische Urtier hungrig ist, erfahren wir schnell. Zumindest hört sich das Knurren so an, als sollte man ihm nicht zu nahe kommen, außer das Leben in der südstaatlichen Einöde scheint nicht mehr lebenswert. Dabei geht die eigentliche Bedrohung nicht vom Reptil aus, wenn wir von dahergelaufenen, kleinen Hunden einmal absehen. Für den Menschen, oder vielmehr den Hotelgast, stellt der Besitzer Judd die eigentliche Gefahr dar, denn bei ihm handelt es sich um einen hinterwäldlerischen Psychokiller par excellence, der vorzugsweise mit spitzem Gartenwerkzeug, wie Heugabel oder Sense mordet. Das Krokodil beseitigt lediglich die Beweisspuren. Doch Clara bleibt nicht der einzige Gast dieser Nacht und Judd wird immer mehr gefordert. Irgendwann überschlagen sich die Ereignisse, sodass in der oberen Etage eine ans Bett gefesselte Mutter lärmt und im nassen Bereich unter dem Haus ihre kleine Tochter zwischen Ratten und Krokodil um Hilfe schreit. Dazwischen vergnügt sich Buck uneingeladen in einem Zimmer mit einer jungen Frau. Judd weiß nicht, welche Störungsquelle er zuerst bekämpfen soll.
Wie bereits „The Texas Chainsaw Massacre“, basiert auch „Eaten Alive“ lose auf einer wahren Begebenheit, doch statt Ed Gein stand diesmal der Serienmörder Joe Ball Model, der auch den Beinamen „The Alligator Man“ trägt. Ihm wurden nach seinem Suizid mehrere Morde nachgewiesen, bei denen er die zerstückelten Leichen anschließend an seine Alligatoren verfütterte. Mindestens fünf Bluttaten dürfte er in seinem Lokal „The Sociable Inn“ begangen haben, was in Tobe Hoopers Film durch das „Starlight Hotel“ ersetzt wurde.
Die Mordszenen in „Eaten Alive“ werden übrigens weitaus expliziter und blutiger dargestellt, als im ikonischen „The Texas Chainsaw Massacre“, der ja gerade durch das Nichtzeigen die Fantasie ankurbelte und für Schrecken im Publikum sorgte. Trotzdem verliert der nachfolgende Film nicht an Schockgehalt, wobei „Eaten Alive“ vor allem von seiner unangenehmen und durchaus ekelerregenden Grundstimmung lebt, die von der Filmmusik, die aus Countrysongs und psychedelischen Störgeräuschen besteht, intensiviert wird. Als Kontrast dazu steht allerdings die farbenprächtige Ausleuchtung der Innen- und Außenräume, die diesem kleinen Mikrokosmos, dessen Zentrum Judds Hotel darstellt, einen surrealen Touch verleiht. Es hat fast den Anschein, als hätte sich Hooper zwischen „The Texas Chainsaw Massacre“ und diesem filmischen Biest einen Haufen italienischer Giallo- und Gothicfilme à la Bava und Argento reingezogen. Was nie falsch ist!
Tobe Hooper und der Godfather of Gore.
Es ist schon verwunderlich, dass die Samen eines Herschell Gordon Lewis, der bereits 1963 mit „Blood Feast“ den Splatterfilm erfunden hat, erst gute zehn Jahre später so richtig zu keimen beginnen. Und dabei spielt Tobe Hooper eine essentielle Rolle, denn seine frühen Filme wirken zum Teil wie die etwas ausgereifteren Variationen von Lewis Streifen. In „Eaten Alive“ ist es vor allem die Rolle der Bordellbetreiberin Hattie, die direkt aus einem Werk des Godfathers of Gore entnommen sein könnte. Es handelte sich bei ihr um eine Laiendarstellerin, die tatsächlich ein derartiges Etablissement betrieben hat und diese oft aus Kostengründen getroffenen Entscheidungen erinnern nur zu gut an das Exploitationkino von Herschell Gordon Lewis und David F. Friedman. Hattie trägt in „Eaten Alive“ noch dazu so viel auffälliges Make-up, dass doch glatt Erinnerungen an die wahnwitzige Hexe aus „Something Weird“ (1967) wach werden. Aber natürlich gehen auch die blutigen Mordszenen und das grundlegende Sujet des Backwood-Horrorfilms auf Herschell Gordon Lewis zurück und lassen uns abermals dankbar den Hut vor dem Godfather of Gore ziehen.
„Eaten Alive“ von Tobe Hooper ist eine zu Unrecht vergessene Perle des amerikanischen Regisseurs, die das Publikum auch nach 45 Jahren bestimmt nicht kalt lässt. Der Terror steckt dem Werk, trotz gehörigem Augenzwinkern zwischendrin, nach wie vor in den Knochen, der mordende Protagonist überzeugt als durchgeknallter Hinterwäldler auf voller Länge und audiovisuell besticht der Streifen durch absurdes Sounddesign und dunkelbunte Bilder, die Assoziationen mit dem italienischen Genrekino der 60er und 70er aufkommen lassen. Eine Empfehlung, der man im Laufe des Jahres 2021, im Rahmen der Til Midnight Movies in Wien, bestimmt nachkommen kann, denn die Kinorechte des sonderbaren Streifens liegen bei Drop Out-Cinema.