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KLAPPERSCHLANGE WIRD 40

ZUM JUBILÄUM EINES KLASSIKERS


von Otto Römisch

© ARTHAUS Besondere Filme


Manhattan als abgeriegelte, abgeranzte und abgeschottete Insel für Schwerverbrecher*innen, die man über die 20 Meter hohe Mauer geworfen und sich ihnen selbst überlassen hat. Ein Projekt, das in der Realität als Negativ zur Belichtung gebracht und als Hochglanzposter entwickelt wurde und daher aus heutiger Sicht und für Post-9/11-Kinder ein vollkommen absurder Plot zu sein scheint. Warum sollte man denen die stadtgewordene Tourismusattraktion überlassen? Hart durchgreifen, das Böse wegsperren, die Armen mit dem Busticket über den Turnpike schicken, die Alten und Unansehnlichen nach Queens und in die Bronx auslagern. So wurde das damals Mitte der 90er vom Alt-Bürgermeister Rudy Giuliani und seiner Reinigungsdoktrin gehandhabt. Doch 15 bis 20 Jahre davor, schien man tatsächlich nur eine Executive Decision davon entfernt zu sein, den Schlüssel der Peninsula wegzuwerfen und darauf zu hoffen, dass sich die Probleme auf ihr selbst lösen würden. Aus Sicht des damals jungen John Carpenters also eine überaus naheliegende Entscheidung, New York als quasi autarken Riesenhäfen und damit Schauplatz seiner Dystopie ‚Escape from New York / Die Klapperschlange‘ auszuwählen. Dieser Action Gem feiert dieser Tage seinen 40. Geburtstag und glänzt dabei noch immer, wie ein Luster auf der Motorhaube einer Limousine.


Der grobe Entwurf des Drehbuchs sollte noch einige Jahre in der Schublade seines Regisseurs liegen bleiben, bevor die Zeit reif war, den nihilistischen Ex-Elite-Soldat-und-Kriegsheld-jetzt-Verbrecher Snake Plissken, auf der dunklen Leinwand auftreten zu lassen, um ihn tun zu lassen, was ein Mann eben tun muss. Damals bedeutete das nicht weniger, als die Welt vor einem Atomkrieg und dem einhergehenden Untergang der uns bekannten Zivilisation zu bewahren. Denn im Jahr 1997 – Achtung Zeitreisende, jetzt wird’s kurz holprig – der Zukunft von damals, die mittlerweile weiter in der Vergangenheit zurückliegt als zum Zeitpunkt des Films in der Zukunft… stürzt die Air Force One, nach einer rebellischen Übernahme, mitsamt des Präsidenten (Donald Pleasence) über dem ungünstigsten Ort ab: dem oben erwähnten Hochsicherheitsgefängnis aka Manhattan. Es dauert natürlich keine Minute, da wird der Commander-in-Chief auch gleich von einem Mob, unter der Führung des gleichermaßen skrupellosen wie charismatischen Duke (Isaac Hayes), hops genommen und als 1A Erpressungsgut für eine geforderte Freilassung präsentiert. Für eine Rettungsaktion dieser Art kommt natürlich nicht das Militär (ausdrückliche Bedingung der Kidnapper), Gerald Butler (noch nicht Teil des Secret Service) oder Mediator*innen (keine Ahnung warum nicht) in Frage, sondern nur und ausschließlich unser Held. Der fällt unter dem Abschaum nicht so auf und hat die Nahkampferfahrung aus Leningrad noch im kleinen Finger. Immerhin winkt dem reptilienhaften Grantscherben die Freiheit als Belohnung, sollte er den POTUS sicher und in einem Stück, minus einem Finger, wieder diesseits der Mauer bringen. Nachdem man so einem vorbestraften Freigeist aber nicht über den Weg trauen kann und die Zeit bis zu den internationalen Friedensgesprächen mit den Russen, die solche Termine ungern verschieben, knapp wird, spritzt man Snake noch ein wenig Sprengstoff in den Hals. Denn nichts stärkt die Moral eines Soldaten und steigert den Suspense mehr, als die ständige Gefahr eines explodierenden Schädels. Mehr oder weniger einen Tag hat er also um seine Mission zu erfüllen…


Smooth wie das Segelflugzeug, mit dem wir auf dem Eiland und somit der eigentlichen Handlung landen, führt uns der Auteur Carpenter von einem grimmigen Schauplatz zum nächsten. Schenkt uns Schenkelreibegimmicks, die heute noch genauso lächerlich sind wie damals, aber nicht einen Grad Celsius an Coolness verloren haben. Oder warum braucht man noch einmal ein Zielfernrohr auf einer Uzi? Wovor genau tarnt man sich mit einer schwarzweißgrauen Camouflagehose? Und gibt es überhaupt eine Story hinter der Augenklappe? Die Antworten auf alle Fragen ist dieselbe: was für dumme Fragen, die einen am Genuss hindern… In anderen Momenten lässt uns der nicht selten politische Filmemacher vor der menschlichen Kälte schaudern. Wenn wir an der Seite des Protagonisten an einer Vergewaltigung vorbeischleichen und beobachten müssen, wie er nicht einschreitet, weil es einfach nicht seine Aufgabe ist. Ein Teaser in die Fratze der Reagan’schen Jeder-für-sich Politik, dessen Inauguration zum Zeitpunkt der Premiere gerade ein paar Monate her war. Die Gewalt trifft uns in manchen Szenen wie ein mit Nägel bespickter Baseballknüppel in den Nacken eines Wrestlers. Eiskalt, gnadenlos und doch mit einem gewissen Humor.


Bevor Snake am Ende seinen Nachnamen ablegt und bitteschön doch Herr Plissken genannt werden möchte, werden natürlich ganz im Zeichen des geistigen Paten Howard Hawks, Banden zwischen Außenseitern und Vergessenen geschlossen. Denn wenn wir und Carpenter was vom alten Duke – also in dem Fall John Wayne – und seinen Mannen gelernt haben, dann ist es, dass man zu zweit/dritt/viert immer mehr Chancen hat, als wenn man nur auf sich gestellt ist. Einzelgänger kommen natürlich vor im Carpenter Universum, doch sind sie selten im Vorteil. Beziehungsweise werden sie uns erst nahe, wenn sie sich auf Vertrauen und Unterstützung einlassen. Snake werden diese Freund*innen gegeben, um sie ihm dann wieder zu nehmen. Die Freiheit, die selbstverständlich erst wenige Sekunden vor einer Detonation der Kurt Russell’schen Kopfdecke gewonnen wird, fühlt sich nicht wirklich nach Gewinn an. Und will man wirklich in einer Welt leben, die auf Korruption, Egoismus und Opportunismus aufgebaut ist? Na eben. Dann lieber doch den nuklearen Holocaust mit einem Lächeln im Alleingang einleiten. Happy Birthday Klapperschlange!



Am Freitag, den 30. Juli gibt es DIE KLAPPERSCHLANGE im schikaneder in Wien zu sehen. Gehostet wird das Screening von Otto & Sabrina vom OTTO & SABRINA HABEN EINEN GAST UND REDEN ÜBER FILME-Podcast.


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