EYES HALF SHUT - Ein Hosenscheißer traut sich auf's SLASH
Erstes Wochenende: Jetzt kann's dann aber bald losgehen...

© Stadtkino Filmverleih
von Otto Römisch
Das Schönste gleich zu Beginn: ich liebe fast alle Menschen, die mir beim SLASH bisher begegnet sind. Es gibt beinahe keine Person, die eine*n nicht mit einem Lächeln in die Runde aufnimmt, sofort fragend „Und was sagst du zum Film?“. Von der herzlichen Lacherin, die schon zwei Filme für mich wesentlich besser gemacht hat, über den Filmcasino-Mitarbeiter, der einen Gin & Tonic sogar ohne Eiswürferl trinkbar macht, bis zum Direktor, der scheinbar für jede Besucher*in zumindest einen Weißen Spritzer lang Abhängezeit reserviert hat. Wie schön war dieser Eröffnungsabend bitte, mit all den Kinobegeisterten um mich herum. Vielleicht versöhn ich mich eh wieder mit dem Herbst, wenn er schon so startet.
Aber Achtung, jetzt kommt schon der erste hot take daher. Und das auch noch ohne eine, für manche Leser*innen vielleicht dringend notwendige, Erklärung: Titane, der diesjährige Eröffnungsfilm, war einfach nur ok. Dieses Urteil setz ich aus ein paar sehr schönen Momenten und vielen Szenen, die mir einfach wurscht waren oder mich zumindest nicht vom Hocker gerissen haben, auch wenn sie es noch so sehr wollten, zusammen. Und damit – schnell auf einen Holzlöffel beißen, Julia Ducournau Fanclubmitglieder – reiht er sich fein in die noch überschaubare Filmografie der Französin ein. Denn ihr Erstling Raw hat bei mir leider auch nur ein ‚Meh‘ gefolgt von einem Schulterzucken hervorgerufen. Und nach einem schnellen Blick auf Letterboxd, dem Feuilleton des gesamten Planeten und, naja, eben dieser Goldenen Palme, weiß ich eh, dass ich mich zu einer Minderheit zählen darf.
Kennt ihr das, wenn euch viel von einem Typen erzählt wird, den man doch unbedingt jetzt bald kennenlernen muss. „Mit dem verstehst dich sicher gut, der ist so super. Ihr habt auch genau den gleichen Humor!“ Und dann trefft ihr diesen Typen und er streckt seine Hand aus und... redet von sich in der dritten Person. Aha, alles klar. Mehr muss ich über dich leider nicht wissen. Und Titane ist für mich dieser Typ. Über alle Maßen von sich selbst überzeugt und selbstverständlich in Form und Sprache. So steht in großen Lettern nach dem letzten Bild, das uns wohl alle mit offenen Mündern zurücklassen soll, noch einmal der Titel. TITANE. So wie 'TITANE - NOCH FRAGEN?' oder 'TITANE - DA SAGST JETZT NIX MEHR'. Wie gern hätte ich zurückgeschrien: „Nein“ und „Naja“. Wobei eine Frage hätte ich doch? Wo waren die vielen WTF-Momente die man mir versprochen hat, die angeblich so zahlreich auf mich einprasseln hätten sollen, für die ich das Kino unter anderem liebe. Der WTF-o-meter ist aus meiner Sicht eher auf Zimmertemperatur geblieben. Klar funktionieren Kills, Future Islands und Zombies (die Band, nicht die hatscherten Hirnhungrigen) immer. So auch hier. Aber das waren dann auch leider für mich alle Szenen, die voll aufgegangen sind. Denn Super-Musik-Super-Slomo-Montagen kann sie, die Ducournau. Aber, excuse my bitterness, wer kann die eigentlich nicht?
Zweiter Tag, ähnliches Problem, aber irgendwie ganz anders. Mother Schmuckers wurde mir als belgisches Jack-Ass verkauft, obwohl der Film doch höchstens aus den Schnipseln besteht, die bei Jack-Ass am Boden unterm Schneidetisch gefunden worden sind. Und ich kann sonst eigentlich immer über Pupu-kaka Witze lachen. Wenn sie denn halt ein bisschen gecraftet/geschrieben/inszeniert sind. Und trotzdem würd ich wieder in einen Film der Brüder Guit gehen, einfach um herauszufinden ob da noch mehr ist. Ich glaub es nämlich irgendwie schon.
Spätabends ging es dann in den japanischen Episodenfilm Extraneous Matter, denn wenn die Kompassnadel auf Shunga zeigt, folge ich! Schöne Bilder in schwarz/weiß, ein Monsterchen, das alle Tentakel voll zu tun hatte, seine Mitmenschen zu befriedigen und das ist auch schon wieder alles, was ich mir gemerkt habe.
Tag drei. Ich sitz im Filmcasino und wart darauf, dass das Licht ausgeht und der Animationsfilm Cryptozoo losgeht, da dreht sich jemand zu mir um und meint „Na vor dem wirst dich jetzt aber nicht wirklich fürchten“. Werde ich wirklich von Fremden erkannt? Soll ich meinen Job kündigen? Fame at last? Nein, es war der Geschäftsführer des Festivals. Er kennt sich halt aus und weiß, wo, was um ihn und das Festival herum passiert. Guter Mann. Außerdem guter Filmgeschmack – er sollte Cryptozoo auch furchtbar finden.
Egal, nächster Versuch. Manche Festivals brauchen nun einmal ein paar Tage, um in Fahrt zu kommen. Let’s get it on. Ich bin bereit. Wohoo. Her mit dem nächsten Streifen. Der erste der mich umhauen wird. Uuuuuuuuuuuuund... First Date soll es wohl auch nicht sein. Könnt ihr euch noch an die 90er erinnern, als nach Pulp Fiction quasi alles tarantinisiert werden musste. Crime und Tension, über die man laut lachen musste oder halt Komödien, die mit viel Blut im Badezimmer enden durften. Manchmal hat uns das gute Abende im Kino oder auf VHS beschert, oft aber nicht (Very Bad Things, Go, The Big Hit und noch so viele, die ich recherchieren müsste, da längst Opfer einer gesunden Verdrängung). First Date scheint 2000 ins Koma gefallen und letztes Jahr wieder aufgewacht zu sein. „Ist filmisch eh nix passiert in der Zwischenzeit?“
Vielleicht braucht es an Tag vier einen Klassiker, der seit 90 Jahren liefert. Ab ins Metro und her mit den Freaks. Und Satan steh mir bei (das sagt man so am SLASH, hab ich mir sagen lassen), wie gut ist dieser Film von Tod Browning bitte! Ideal auch, dass ich die Loge neben dem Parkett für mich gehabt hab und niemanden durch mein aufgeregtes hin- und herrutschen, durch Entsetzen hervorgerufenes Schenkelhauen und lautes Schluchzen beim Filmgenuss stören musste. Aber ich hätte bestimmt nur ein verständnisvolles ‚Gooble Gobble‘ von den Sitznachbar*innen bekommen.
Abschließend gab es mit In The Earth noch einen feinen Ben Wheatley im Wald mit Moos, Äxten und Sounds of Fury und was am Allerwichtigsten ist: der erste Moment, in dem ich kurz wegschauen musste. Als der wahnsinnige Einsiedler nämlich auf einmal Rostnadel und Bindfaden holt, um den Fuß des Wissenschaftlers zu nähen, ganz ohne Betäubung und mitten im Schlamm, wusste ich, jetzt will ich nicht hinschauen. Ich hasse Füße.
Falls du noch nicht weißt, wie Otto Römisch eigentlich zu dem Hosenscheißer geworden ist, der er nun mal ist, dann lies doch in den Prolog von EYES HALF SHUT: Ein Hosenscheißer traut sich auf's SLASH hinein.
Und wenn du wissen willst, wie es Otto in den folgenden SLASH-Tagen ergangen ist, kannst du hier weiterlesen!