EYES HALF SHUT - Ein Hosenscheißer traut sich auf's SLASH
Halbzeit: Ich bin nicht allein!

© Shudder
von Otto Römisch
Tag fünf. Nach ca. sieben Minuten Echtzeit im unspektakulärsten Spätpubertätsfiebertraum After Blue (drei Menschenjahre in meiner Wahrnehmung), ist mir klar, dass mich nur ein Notfall Powernap, ausgedehnte Überlegungen zu meiner Einkaufsliste oder meine Narrenkastlfantasiewelt vor dem Tod durch Langeweile retten können. Schließlich habe ich noch 123 Minuten vor mir und wie lange mir das dann tatsächlich vorkommen wird, davon handeln die meisten Christoper Nolan Filme. Leider wache ich nach 10 Minuten wieder auf und den Großeinkauf hab ich schon am Vormittag erledigt. Also ist es Zeit – und doch irgendwie passend zu den Bildern da auf der Leinwand – für eine Runde ‚Völkerball des subversiven Films‘! Also lenken wir unsere Gedanken auf einen stinkerten Turnsaal, die Hosen sind kurz und es ist eine reine Bubenklasse, also lasst euch bitte nicht ob der fehlenden Filmemacherinnen triggern. Turnlehrer Amos Vogel lässt mich zuerst wählen (yes!):
ICH zeig auf den Grantigen mit den großen Augen Ok, ganz klar – Luis is mein Kapitän!! Buñuel kommt auf meine Seite, es scheint ihm aber wurscht zu sein.
GEGENSPIELER, NENNEN WIR IHN BERND zeigt auf eine Rauchwolke Lynch!
ICH Shit.
LYNCH sehr laut I don’t feel comfortable taking part in this game. Geht trotzdem zu Bernd.
ICH Na egal. Waters!
JOHN WATERS Let’s do this, Bitches!
BERND Béla! Béla Tarr schlurft rüber zu Bernd. Es dauert Stunden.
ICH Jiří!
JIŘÍ MENZEL Ale ty mě vlastně vůbec neznáš ... Kommt widerwillig auf meine Seite.
BERND Jodo! Alejandro Jodorowsky zieht sich vor Freude, gewählt worden zu sein, zurück und spielt Flöte.
ICH Haha, super Wahl du Opfer - NOT. Fefe! Federico Fellini kommt enttäuscht rüber, weil ich ihn erst jetzt hol Schau nicht so, du weißt wie mühsam ich deine Spätphase find!
BERND Wo sind eigentlich Tarko und Roman?
AMOS VOGEL In der Zone. Beziehungsweise gecancelt.
BERND Na Oida... Dann halt den Gaspar!
GASPAR NOÉ klatscht sich selbst ein, während ohrenbetäubender Industrial Metal Techno aus seiner Boom Box kommt GASPAR! GASPAR! GASPAR! C’est moi!! Wohoooo!!!
JOHN WATERS zu Buñuel Geez Louis do they wanna lose?
LUIS BUÑUEL zu John Waters ¿Eres un rinoceronte?
JOHN WATERS No fucking clue what you’re talking about, honey...
ICH Na ok, gibt eh nur mehr zwei. Crone-Meister! Dann kann Bernd den Ōshima haben...
DAVID CRONENBERG starrt ins Leere
AMOS VOGEL Alles ok David?
DAVID CRONENBERG lacht wie wild und fängt an sich die Haut abzuziehen. Darunter ist Ken Russell
ICH Passt, Russell!
KEN RUSSELL Let’s do this, Bitches!
Irgendwann ist das Snoozefest dann doch vorbei, der halbe Stern auf Letterboxd vergeben (folgt mir hier) und es geht nur kurz raus zum Verschnaufen, denn gleich gibt es im selben Kino den angeblich ärgsten Film des Festivals. Bitte was heißt das denn? Wollt‘s ihr mich fertig machen?! „Vielleicht findest ihn eh nicht soooo schlimm“ gibt mir der Festivaldirektor mit auf den Weg ins Dunkel, das ich mit zitternden Knien betrete. Sicherheitsabstand zum Projizierten: neun Reihen, zwei davon fußfrei. Noch ein paar Hinweise auf irgendwelche Nebenveranstaltungen und dann ist es soweit: die Anscheiß-Spiele sind feierlich eröffnet, als die Lichter gedämmt werden und der ganze Saal kollektiv überlegt, jetzt noch schnell was anderes zu machen. Ein tiefschwarzes Bild. Die ersten Noten auf dem einsamsten Klavier der Welt. Die Frau vor mir schüttelt wild den Kopf und wirft die Hände in die Höhe, als ob sie die Leinwand anflehen möchte, doch noch eine Kevin Hart/Dwayne Johnson Komödie zu zeigen. Der Titel erscheint aber ohne weiter verhandeln zu wollen: Caveat. Der Typ hinter mir fängt nervös zu lachen an. Wir alle um ihn herum hören die Angst, die tief in diesem fast schon grotesken Versuch der Fröhlichkeit, festsitzt. Er wird es auch nicht mehr aufhalten können.
Zu sehen ist ein alter, mitgenommener Spielzeughase, der auf seiner alten mitgenommenen Trommel trommelt. Nichts verbindet ihn mit seinem kleinen, vergnügten, rosaplüschigen Duracell Geschwisterchen. Die wurden sicher nach der Geburt getrennt. Der eine in fröhliche Werbepausen gesteckt und der andere... ja, der andere, der ist jetzt hier, in dem düsteren, schmutzigen, vermutlich verschimmelten Haus mit dieser blassen, jungen Frau und den Familiengeheimnissen in den Wänden. Und nach wenigen Sekunden, die der Film dauert, in denen ich sämtliche Organe zu spüren und die Angespanntheit des ganzen Saals zu riechen scheine, stelle ich mir die sich aufdrängende Frage: Liebe ich das hier vielleicht? Liebe ich Horror gerade? Alleine zu Hause würd sich das jetzt wirklich wie ungewollter Schmerz anfühlen. Aber hier im Kino, mit all den anderen Hosenscheißer*innen, hat es was kathartisch-ekstatisches. Wie Achterbahnfahren. Na gut, gebt mir mehr!
Vollkommen unausgeschlafen, aber vom Angstfaktor her tiefenentspannt (hey ich hab angeblich das Schlimmste überstanden), betrete ich an Tag sechs das schikaneder für The Feast. Und da schau her, Lee Haven Jones hat einen walisischen Parasite gedreht. Nur halt ein bisschen kürzer. Und ein bisschen expliziter. Und ein bisschen ohne Substanz, Witz oder Gespür für Tempo und Struktur. Ja ich weiß, man soll nicht vergleichen, aber manche Filme scheinen andere Filme schlechter zu machen, in dem sie selbst so gut sind und vice versa.
Beim nächsten Werk im Filmcasino, bin ich wahnsinnig froh darüber, wenig Ahnung vom Werwolf Genre zu haben. Alles, was mir ad hoc einfällt ist, wie super Michael J. Fox vollbehaart auf einmal Basketball spielen konnte. Dass die klassischste aller Ungewollte-Verwandlungs-Erzählungen dabei eine wunderbare Narrationsmöglichkeit über das Erwachsenwerden bietet, war wohl so naheliegend, wie mir unbewusst. Großer Dank an Teddy für das Aufmerksam machen und ein stimmiges Filmchen, das die Balance zwischen Humor und Teenage Angst, Schrecken und Ekel, über 90 Minuten leichtfüßig zu halten vermag. Glaube die Brüder Boukherma merk ich mir auch.
Tag sieben bietet eine Binsenweisheit für Zwischendurch, die zu 100% zutrifft: hier bei uns in Osteuropa haben die 1970er in den 80ern angefangen. Wilczyca/She-Wolf von 1983 ist ein Zelluloid gewordenes Zeitzeugnis für diese Aussage. Ich bitte euch, googelt den Film, schaut euch die Bilder an und staunt über den Anachronismus. Aber Achtung, so sehr der Streifen auch aussieht, als ob er aus dem besten Filmjahrzehnt käme, so stark ist er auch der Langeweile des mir meist gehassten Filmjahrzehnts, das seiner Entstehung, entsprungen – puh, ich merk schon, hier mach ich mir viele neue Freund*innen. Ein paar Bilder waren eh super, ok?!
Das Ende des Tages hält dann aber doch noch zwei wunderbare Knoten im Kopf für mich parat, deren Versuch gelöst zu werden, zwar bis zum jetzigen Zeitpunkt ohne Erfolg geblieben ist, doch in einer Möbiusschleife die pure Freude am Grübeln in mir auslöst. Der erste Knoten erscheint in Form des japanischen Kleinods Beyond the Infinite Two Minutes auf der schikanederschen Leinwand und schnalzt mir ein 70 minütiges Dauergrinsen ins Gesicht. Wenn ich auch nur eine Zeile über diesen charmanten Zeitschleifen-Mindfuck verrate, muss ich zwei Minuten in der Zeit zurückreisen, um mich davon abzuhalten, euch dieser Freude der Ahnungslosigkeit zu berauben. Und für so einen Zeitsprung bin ich sowieso zu müde. Ich schaff es gerade noch euch den zweiten Knoten zu vermachen. Eine Information, die mir absolut neu war und mich möglicherweise die nächsten Monate beschäftigen wird: Die ursprüngliche Besetzung für den John Woo Streifen Face/Off, waren Michael Douglas und Harrison Ford. Und ich kann euch nur sagen, was ich auch weiß, beziehungsweise eben nicht weiß – wer wen spielen hätte sollen, ist nicht bekannt... Kabumm!
Das war bereits der dritte Beitrag von Ottos Serie EYES HALF SHUT - Ein Hosenscheißer traut sich auf's SLASH. Falls du die Beiträge davor verpasst hast:
EYES HALF SHUT - Ein Hosenscheißer traut sich auf's SLASH: Prolog
EYES HALF SHUT - Ein Hosenscheißer traut sich auf's SLASH: Erstes Wochenende