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H. G. LEWIS - THE GODFATHER OF GORE... AND MORE!

von Julian Stockinger


Diese Beitragsserie über den Godfather of Gore findet in einer Kooperation mit CINEMA OBSCURE statt und findet sich ebenso auf ihrer Homepage.


Es war Anfang der 60er Jahre, als der junge US-amerikanische Regisseur Herschell Gordon Lewis, zusammen mit seinem Kollegen David F. Friedman, beschloss, sich die Brötchen mit Filmen zu verdienen, die sich die Traumfabrik Hollywood nicht traute zu verwirklichen. Dass Sex und Gewalt Themen dieser DIY-Albtraumfabrik sein sollten, ist wenig überraschend, auch wenn Lewis dem (rein) erotischen Film bald abschwor. Stattdessen fokussierte er sich auf die Darstellung von im Kino so nie dagewesener, expliziter und hochgradig körperlicher Gewalt. Er gründete damit eine Gattung des Horrorfilms, die als Splatter- oder Gore-Film geläufig ist und sich im Laufe der Zeit vom Genre zum vielseitig anwendbaren Stilmittel entwickelt hat. So prägend diese ersten Beiträge von Lewis und Friedman für ganze Generationen auch sein mochten, haben sie bei ihren Releases nie den Rahmen der Auto- und Grindhouse-Kinos sprengen können und dadurch weder für große Anerkennung jenseits dieser Zielgruppe, noch – und das ist schon weitaus verwunderlicher – für erwähnenswertes Aufsehen gesorgt.


Rückblickend stellt der Regisseur aber eine immens wichtige Figur im Genrekino dar und kann sogar als Schlüsselrolle in der Geschichte des modernen Horrorfilms, die ab ungefähr 1960 ihren Anfang nahm, bezeichnet werden. Dieser Paradigmenwechsel sorgte für eine Abwendung von rein phantastischen und gotischen Elementen, die von Gallionsfiguren wie Dracula und Frankenstein geprägt waren, hin zu einer potentiell realistischen Bedrohung. Hier spielten insbesondere der Slasher- und der Backwood-Horrorfilm tragende Rollen, also Subgenres, deren „filmische Exzessivität der Gewaltinszenierung“ ausschlaggebend dafür ist, dass „der Kern der drastischen Ästhetik im filmischen Horror vor allem hier zu finden sein wird.“ (Moldenhauer 2016: 17) Und auch wenn Hitchcocks „Psycho“ (1960) gemeinhin als größter Einfluss auf diese Entwicklung betrachtet werden kann, sollte die vermeintlich kleine Vorreiter-Rolle von H. G. Lewis hier nicht unterschätzt werden.


Aber was zeichnet sie nun aus, die Splatter- bzw. Gore-Filme von Lewis und Friedman? Wie eingangs erwähnt, geht es um die explizite Darstellung von körperlicher Gewalt und damit nicht genug, geht es um die regelrechte Offenlegung vom menschlichen Inneren. „Es ist der Körper, es ist das Fleisch, worauf er es abgesehen hat. HGL und seine Schüler haben den menschlichen Leib für das Kino-Publikum geöffnet.“ (Seeßlen / Jung 2006: 258) Gearbeitet wurde hierbei zwar nicht mit menschlichen (Lewis distanzierte sich wenig überraschender Weise von Snuff-Filmen), aber trotzdem echten, weil tierischen Innereien, um den Gore so realistisch wie möglich aussehen zu lassen. Die vielleicht naheliegende Annahme, dass in Anbetracht der Öffnung des menschlichen Körpers mit Metaphern gearbeitet wurde, kann fast ganz ausgeschlossen werden. Es ging dem Regisseur und seinem Team in erster Linie um den Gore als Selbstzweck. Wenn Körperteile abgetrennt und in Innereien gewühlt wurde, dann nur, um der Sensationslust eines auf reißerische Unterhaltung gedrillten Publikums gerecht zu werden. Was allerdings nicht bedeutet, dass hier ohne künstlerische Ambitionen gearbeitet wurde! Auch wenn Lewis und Friedman immer wieder betonten, dass es ihnen in erster Linie um Geld ging, sieht man den Filmen - insbesondere Werken von außergewöhnlicher Verspieltheit wie „Something Weird“ (1967) - definitiv eine Leidenschaft für das Filmemachen an sich an.


Interessant ist, dass sich das Publikum für diese durchaus anstößige Filme zu einem großen Teil in den Südstaaten der USA gefunden hat, wobei sich der aus Pennsylvania stammende Regisseur gerade diese Zielgruppe immer wieder für stereotype und wenig wertschätzende Darstellungen hergenommen hat. In einem seiner bekanntesten Filme, nämlich „Two Thousand Maniacs!“ (1964), sind es zum Beispiel hinterwäldlerische Menschen aus den Südstaaten, die sich mit ausuferndem Einfallsreichtum an jungen, aus dem Norden kommenden Reisenden vergehen. Die Häufigkeit an Mord- und Sexszenen ist dabei ganz bewusst auf ein knutschendes und fummelndes Autokino-Publikum zugeschnitten, denn man wollte natürlich vermeiden, dass sich die Begleitung letztlich als spannender erweist, als der Film, für den Eintritt bezahlt worden ist. (vgl. Penner / Schneider / Duncan 2012: 47) Dass Herschell Gordon Lewis auch nach „Blood Feast“ und „Two Thousand Maniacs!“ aber nicht nur Gore-Filme drehte, darauf werden wir an anderer Stelle noch genauer Bezug nehmen. Aber first thing’s first!



Wo das Schlachten seinen Ursprung fand: „Blood Feast“ (1963)


Der erste Splatterfilm aller Zeiten dringt bereits ordentlich tief in die Materie, respektive ins menschliche Fleisch. Nicht zufällig warnte der damalige Kinotrailer: „This picture, truly one of the most unusual ever filmed, contains scenes which under no circumstances should be viewed by anyone with a heart condition or anyone who is easily upset“. Darüber hinaus wurde gebeten, den Kinosaal zu verlassen, sollte man sich zu einer dieser Gruppen zählen, oder im Beisein einer minderjährigen Person sein. Aber worum geht’s?


Der hinkende Fuad Ramses stellt in seiner Provinzstadt eine Ausnahmeerscheinung dar. Der hypnotische Blick, oder um es mit einem Filmzitat zu sagen, seine „wild eyes“, sind so eindringlich, dass sie vielleicht gar keinen so kleinen Teil zu seinem laufenden Geschäft beitragen. Mister Ramses führt nämlich einen Lebensmittelladen samt „Exotic Catering“, wo er neben gewöhnlichen Artikeln auch ganz spezielle Gerichte für ganz spezielle Events anbietet. Was die Bewohnerschaft der Stadt aber nicht weiß: Er gehört einem uralten ägyptischen Kult an und für das bevorstehende „Egyptian Feast“, welches er für eine Kundin vorbereitet, braucht er alle möglichen, menschlichen Zutaten. Wie zum Beispiel ein Bein. Oder ein Gehirn. Oder eine Zunge. Indes häufen sich in der Kleinstadt die (ausschließlich jungen und weiblichen) Leichen, was nicht nur die Köpfe der zwei ortsansässigen Polizisten zum Rauchen bringt. Bis eines der Opfer, kurz bevor es im Krankenhaus den Verletzungen erliegt, den Ermittlern einen Hint mitgeben kann.


Mit „Blood Feast“ brachten Lewis und Friedman einen Stein ins Rollen, dessen Gefolgschaft noch bis heute die Hügel der internationalen Genrelandschaft runterpurzelt. Ob es nun das italienische B-Movie-Kino, die Zombie-Apokalypse à la Romero, oder die erfolgreichsten TV-Serien aller Zeiten sind: Gore ist zum legitimen Stilmittel geworden und darüber hinaus gar nicht mehr zwingend an den Horrorfilm gebunden. Dennoch überrascht es, wie brutal und explizit die Morde in „Blood Feast“ bereits dargestellt werden und letztlich in einer Szene gipfeln, wo einer Frau mit bloßer Hand die Zunge aus dem Mund gerissen wird. Die Hintergrundinformation, dass es sich dabei in Wirklichkeit um eine Schafszunge handelte, die aufgrund der nicht möglichen Kühlung in der ganzen Nachbarschaft zu riechen war, trägt nicht unbedingt zur Milderung der Szene bei.


Aber auch hinsichtlich der dargestellten Opfer, hat dieser Streifen, den man durchaus als einen Vorreiter des Slasher-Films bezeichnen kann, Maßstäbe gesetzt, wenn auch keine dem derzeitigen Zeitgeist entsprechenden. Bereits Edgar Allen Poe hat 1846 in seinem Essay „The Philosophy of Composition“ geschrieben: „The death then of a beautiful woman is unquestionably the most poetical topic in the world.“. Ob Lewis und Konsorten das ähnlich empfunden haben, oder schlichtweg reißerische Mordszenen mit nackter, weiblicher Haut kombinieren wollten, sei dahingestellt. Jedenfalls sollte dieser misogyne Blickwinkel vielen Giallo-, Slasher- und Horrorfilmen im Allgemeinen noch sehr lange angeheftet bleiben. Ein Umstand, der auch Lewis Kritik einbrachte, woraufhin er einige Jahre später mit „She-Devils on Wheels“ (1968) eine Antwort gefunden zu haben glaubt. Aber dazu an anderer Stelle mehr.


Handelt es sich bei „Blood Feast“ nun um ein Meisterwerk? Die Antwort geht hier sehr leicht von der Hand: Nein! Und sie geht insbesondere deswegen leicht von der Hand, weil es nie den Anspruch gab, Meisterwerke abzuliefern. Lewis und Friedman – daraus machten sie nie ein Geheimnis – haben, ganz in der Tradition des Exploitationkinos, Filme vor allem aus einer ökonomischen Motivation raus und gezielt für eine bestimmte Zielgruppe in bestimmten Lichtspielhäusern gedreht. Trotzdem, so Lewis, haben sie sich in Anbetracht des Erfolges von „Blood Feast“ ein wenig geschämt, weil sie gar so wenig in den Film investiert hatten. Daraus sollten sie eine Lehre ziehen, um mit ihrem nächsten Film „Two Thousand Maniacs!“ eine weitaus größere Nummer aufzuziehen. Dieser sollte auch bis zu seinem Tod im Jahr 2016, der Lieblingsfilm des Regisseurs bleiben.



Die Geburtsstunde des Backwood-Horrorfilms: „Two Thousand Maniacs!“ (1964)


Im Zentrum des Films steht die südstaatliche Kleinstadt Pleasant Valley, mit ihren sehr merkwürdigen Bewohnern und Bewohnerinnen. Nachdem sie mit einem aufgestellten Umleitungs-Schild zwei aus dem Norden kommende Autos zu sich verführt haben, erklären sie die Reisenden zu ihren Ehrengästen. Es gäbe die schönsten Hotelzimmer, das beste Essen und die lustigsten Feten – alles auf’s Haus! Grund ist eine Hundertjahrfeier, aber was genau gefeiert wird, weiß zunächst niemand. Tom White, der als Hitchhiker bei Terry Adams untergekommen ist, wittert allerdings schon bald, dass es sich hier nicht um reine Gastfreundschaft handeln kann. Doch bevor er etwas dagegen unternehmen kann, werden schon die ersten Gliedmaßen gekappt.


Auch wenn die wahren Größen des Subgenres erst gute 10 Jahre später über die Leinwände flimmern werden: „Two Thousand Maniacs!“ kann mit seiner politisch hochgradig inkorrekten Darstellung der hinterwäldlerischen Bevölkerung von Pleasant Valley ohne Zweifel als Vorreiter des Backwood-Horrorfilms bezeichnet werden. Denn „Backwood bedeutet vor allem zweierlei: eigene Gesetze und niemand, der einen schreien hört“ (von Aster 1999: 33) und diese zwei Anspruchskriterien erfüllt der Film auf geradezu famose Art und Weise. Später sollten Tobe Hooper mit „The Texas Chainsaw Massacre“ (1974) und Wes Craven mit „The Hills Have Eyes“ (1977) die heute geltenden Prototypen der Gattung in die Welt setzen. Aber wieder darf nicht auf den vorangerollten, vermeintlich kleinen Stein von Lewis und Friedman vergessen werden.


Ein wesentlicher Unterschied zu „The Texas Chainsaw Massacre“ liegt übrigens in der Darstellung der Gewaltszenen. Während Tobe Hooper alles Explizite ausblendet, beziehungsweise im Off stattfinden lässt, macht Herschell Gordon Lewis seinem Ruf alle Ehre und zeigt uns die abgetrennten Gliedmaßen wie selbstverständlich in der Nahaufnahme. Auch wenn das wenig verwunderlich ist, wo doch der Gore das Alleinstellungsmerkmal des Regisseurs ist, hat sich Hoopers Herangehensweise als deutlich wirksamer erwiesen. „The Texas Chainsaw Massacre“ ist ein Film, der es auch noch über 40 Jahre nach Erstaufführung schafft, das Publikum zu schockieren. Und zwar gerade weil Hooper die wirklich drastischen Bilder nicht zeigt, sondern der Fantasie überlässt, oder sogar raffinierter, den Film so schneiden lässt, dass das Publikum denkt, es hätte diese Bilder gesehen. „Two Thousand Maniacs!“ hingegen zeigt alles, vermag aber heutzutage höchstens noch ein leicht angewidertes Mundwinkelverziehen auszulösen– Angst hat hier niemand mehr.


Dafür punktet der Film, wie viele von Lewis, mit seiner fast schon dokumentarischen Szenerie. Aus Kostengründen wurde hinsichtlich des Set Designs einfach das verwendet, was gerade da war. Das gleiche gilt für die Kleidung des Casts und manchmal sogar für den Cast selbst. Diese Umstände verleihen den Filmen ein Gefühl der Echtheit, das Werke mit größerem Budget oftmals gar nicht erzeugen könnten. Insbesondere in Anbetracht eines Filmes, in dem der amerikanische Bürgerkrieg eine zentrale Rolle spielt, kann diese Authentizität durchaus als verstörend erlebt werden. Die Countrymusik, in der der Sieg des Südens propagiert wird und die uns den ganzen Film begleitet, tut ihr Übriges zur unangenehmen Atmosphäre dieses frühen Backwood-Horrorfilms.


Die Reise durch das Schaffen und Schlachten von HGL hat hiermit noch lange kein Ende gefunden. Demnächst erscheint hier die Fortsetzung dieses Beitrags über den Godfather of Gore und seine vielleicht besten Filme.


Literatur:


Moldenhauer, Benjamin (2016): Ästhetik des Drastischen. Welterfahrung und Gewalt im Horrorfilm. Berlin: Bertz + Fischer GbR.


Seeßlen, Georg / Jung, Fernand (2006): Horror. Grundlagen des populären Films. Marburg: Schüren Verlag GmbH.


Penner, Jonathan / Jay Schneider, Steven / Duncan, Paul (2012): Horror Cinema. Köln: TASCHEN GmbH.


V. Aster, Christian (1999): Horror-Lexikon. Von Addams Family bis Zombieworld: Die Motive des Schreckens in Film und Literatur. Berlin: Lexikon Imprint Verlag.

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