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HORRORCTOBER 2020 - REVIEW

ERFAHRUNGSBERICHTE EINER EXPEDITION INS UNBEKANNTE


von Daniel Krunz & Julian Stockinger

Design © Daniel Krunz


Der Ausspruch „Wir machen gerade alle eine schwierige Zeit durch.“, droht ja fast schon zur Floskel zu verkommen, beweist an der Schwelle zum November aber bittere Geltung. Just in der Nacht, als sich viele von uns vorrübergehend vom öffentlichen Kulturleben, so auch den Kinos verabschieden, trifft uns hier in Wien der ganz reale Horror. Noch immer tief erschüttert, erlauben wir uns unter dem nötigen Respektsabstand zu den jüngsten Geschehnissen aber auch, unsere Lebenslust zurückzufordern und uns wieder den Dingen zu widmen, die uns glücklich stimmen, womit wir mit hoffentlich verzeihlicher Verspätung zum nächsten Programmpunkt übergehen, der uns am Herzen liegt.


Wir tragen das Haupt erhoben und haben den Blick nach vorne gerichtet, es sei denn, wir blicken gerade auf den Horrorctober zurück, was wir hiermit herzlich gerne tun. Auch in diesem Krisenjahr ließ es sich die globale Cineast*innen Community nämlich nicht nehmen, sich abenteuerlichen Selbstversuchen zu unterziehen und einen Monat lang mindestens dreizehn bisher ungesehene Horrorfilme zu Gemüte zu führen. Freilich begab sich auch die Redaktion von Filmstock auf Erkundungsreise und hat viel darüber zu berichten. Im Folgenden öffnen Julian Stockinger und Daniel Krunz also ihre Logbücher und stellen die jeweils drei bleibendsten Eindrücke vor, die der Monat bei ihnen hinterlassen hat.


The House That Dripped Blood (1971)


Christopher Lee. Peter Cushing. Diesem Name Drop ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Zwei Charaktermimen, als Personen mindestens ebenso ikonisch wie ihre Rollen. Neben ihrer Bedeutung für den Horrorfilm sind beide fixe Größen im Star Wars Universum, Lee zudem auch im "Herr der Ringe" Franchise. Hinsichtlich des erstgenannten Genres fällt freilich zuerst der Begriff Hammer, die britische Produktionsfirma, die ihrem Namen alle Ehre, sowie Lee und Cushing als Dracula und Dr. Van Helsing unsterblich macht. Ab den 1960ern mischt auf der Insel aber auch ein anderes Studio im Sektor mit, namentlich Amicus Productions, das dem großen Konkurrenten seine zwei Aushängeschilder für eine Handvoll Produktionen abwirbt. Bekannt wird Amicus für seine Horror-Anthologien, zuvorderst die erste Filmadaption der skandalträchtigen Comicreihe „Tales From The Crypt“ (1972), welche bereits zwei Jahrzehnte zuvor das Markenzeichen pechschwarz ironischer Pointen prägte. Ein Umstand, der sich als überaus kompatibel mit dem britischen Humor erweist, der Comicverfilmung breiten Erfolg beschert und mit „The Vault of Horror“ (1973), der weitere Geschichten aus demselben Verlagshaus verarbeitet, eine thematische Fortsetzung erfährt.


Doch die Tradition des episodischen Erzählens bitterböser Schauergeschichten beginnt und endet für Amicus nicht bei „Tales From The Crypt“. Davor wie auch danach fabrizierte die Schmiede ihre ganz hauseigenen Spezialitäten, die den artverwandten Comicadaptionen oft in nichts nachstehen. Das Drehbuch für drei dieser Vor- und Nebenläufer verfasste kein geringerer als Robert Bloch, seines Zeichens Autor des Romans „Psycho“, dessen Tragweite wohl auch nicht näher erläutert werden muss. Die gelungensten dieser insgesamt sieben Filme leben ganz vom makabren Wendungsreichtum besagter Bildgeschichten, sowie der Einbettung in eine durchaus mit Hammer vergleichbaren (Neo-) Gothic Atmosphäre und verhandeln klassische Horrorthemen wie Geisteskrankheit, Vampirismus und schwarze Magie mittels traditionsbewusster Führung und moderner Frechheit.


Ein Film wie „The House That Dripped Blood“, die zweite Amicus-Anthologie aus Blochs Feder, bildet da einen ganz anschaulichen Querschnitt derselbigen ab und begrüßt auch die eingangs genannten Superstars in seinem Cast. Die Anreicherung der Besetzungsliste mit den großen Namen ist aber auch nur das Sahnehäubchen auf einer höchst schmackhaften Kreation, die alle zuvor genannten Qualitätszutaten sorgfältig miteinander vermengt und in die feste Form einer alles zusammenhaltenden Rahmenhandlung presst. Obendrein beweist „The House That Dripped Blood“, welches entgegen seines Titels tatsächlich keinen einzigen Blutstropfen vergießt, dass auch das Horrorgenre vorrangig von einer interessanten Story und stimmungsgeladenen Bildern lebt.


Andere Beiträge aus dem Hause Amicus sind vielleicht eine Spur grafischer, lassen aber ihrem Wesen nach stets einen der Fantasie des Publikums vorbehaltenen Freiraum. Die Kenntnis dieses Umstands ist entscheidend für den ungehinderten Genuss dieser Spezialitäten, denn hier werden keine radikalen 70er Jahre Schocker, sondern vielmehr ausgedehnte Sketche auf die feine englische Art serviert und mit bissigen Pointen gekrönt.


Island of Lost Souls (1932)


Daher rührt also der Topos des verrückten Wissenschaftlers, der in einem exotischen Exil Gott spielt und so eine Schar von Ungeheuern kreiert. Eigentlich sollte auch klar sein, dass die zahllosen filmischen Variationen des Themas auf dem Fundament von H.G. Welles Roman Die Insel des Dr. Moreau und dessen erster Tonverfilmung Anno 1932 bauen, doch wird diese in der Kanonisierung des klassischen Leinwandhorrors immer noch so selten genannt, dass auch diese verspätete Erstsichtung zumindest dürftig erklärt sein dürfte.


Vom akademischen Mainstream verstoßen, operiert Doktor Moreau im gesetzfreien Raum einer namenlosen Tropeninsel, wo er seine Forschungen ungestört fortsetzt. Er hat einen Weg gefunden, Evolution im Turbogang zu betreiben und das Ziel lautet, vereinfacht gesprochen, aus Tieren Menschen zu machen. Noch sind seine Versuchskaninchen unvollkommene Gestalten, denen ein bedeutender Wesenszug zur Menschwerdung fehlt, nämlich der Trieb, sich mit dem Homo Sapiens zu paaren. Als ein junger Seemann auf der Insel strandet, sieht der abtrünnige Wissenschaftler eine Chance auf Vollendung des Experiments.


Es ist wohl kaum übertrieben, die Prämisse nicht zuletzt hinsichtlich des Produktionsjahres, starken Tobak zu heißen und tatsächlich überrascht das Werk besonders aus heutiger Sicht ob seiner Wagnisse. Die pikante Prämisse ist aber nur die Oberfläche der titelstiftenden Insel, die in einem stockdunklen Unterboden verankert liegt. Eine ausgeprägte Kompromisslosigkeit liegt dem Werk zu Grunde, dass seinen Namen auf verschiedenen Ebenen, in suggestiver Bildlichkeit interpretiert. Dieses Konstrukt steht und fällt mit der Verkörperung des diabolischen Doktors durch Charles Laughton, den man ebenfalls entschieden zu selten in den Kanon klassischer Horrorikonen integriert sieht. Dies mag seiner recht knappen Zahl an Genreausflügen und dem Mangel eines spezifischen Rollenfachs geschuldet sein, doch beide Umstände sprechen letztlich für den Rang einer Ausnahmeerscheinung. So gut wie jede seiner an einer Hand abzählbaren Leistungen im Horror genießt Kultstatus und Laughton mimt den unbeholfenen Quasimodo ebenso glaubhaft wie den distinguierten Moreau.


Letztere Leistung Laughtons, der wieder einmal seine wuchtige physische Präsenz brechend, eine ungleich filigran feinabgestimmte Darbietung erbringt, wird aber auch von inspirierter Regie und Kameraarbeit untermauert, die in ihren herausragendsten Momenten neben Schockmomenten auch Dialogszenen in die Egoperspektive rückt und der ohnehin durchdringenden Aura des Antagonisten noch mehr Unmittelbarkeit verleiht. Es bleibt jedoch keine One Man Show, denn zum einen ist auch Universal-Urgestein Béla Lugosi Teil dieser Paramount-Formation und brilliert mit gewohnt großen Gesten als Rädelsführer der halbhumanen Horde, der trotz dass ihm sein im feinsten Oxford-English parlierende Meister das Sprechen lehrte, erstaunlicherweise einen markanten ungarischen Akzent entwickelte. Zum anderen bevölkern nicht allein die Herren der Schöpfung das höllische Paradies und die seinerzeit groß beworbene „Panther Woman“, dargestellt von Kathleen Burke, wird in der Parabel als naive Verführerin zum Sündenfall der fleischgewordene Reiz des Verbotenen und neben ihren männlichen Kollegen gleichrangiger Kultstar des Films. Die angesprochenen Bezüge muteten damals der Zensur mancherorts regelrecht blasphemisch an, geben aber ebendie neuen ethischen Fragen wieder, die von der Literaturvorlage unter Aktualisierung des Frankenstein-Mythos mit der Evolutionstheorie aufgeworfen werden. Ihr Autor Welles sah die philosophischen Ansätze in dieser Leinwandadaption angesichts ihrer Fokussierung auf Schockwerte nicht hinreichend repräsentiert, bei retrospektiver Wahrnehmung des Films in seiner Bedeutung für das Genre ist aber selbst dieser Wermutstropfen leicht zu verdauen. Es ist immer wieder ein Geschenk, später verfestigte filmische Erzählstrategien in ihrer Experimentphase zu beobachten, denn dann hat man es in der Regel mit einem ausgesprochenen Klassiker zu tun.


Creature from the Black Lagoon (1954)


Dracula, Frankenstein und der Wolf Man, die unheilige Dreifaltigkeit der Universal Monsters. Zuerst kommen sie, danach kommt lange nichts. Natürlich stimmt das nicht ganz, denn zumindest die Mumie, der Unsichtbare oder auch das Phantom der Oper halten einen unangefochten Fixplatz in dieser Hall of Fame inne. Fällt dann aber der Name „Gill Man“, müssen heutzutage manche vielleicht schon nachschlagen, wer sich denn hinter jenem ominösen „Kiemenmann“ verbirgt, der unter dem Namen der Überschrift dieses Abschnitts wohl weit besser bekannt ist. Als solcher ist das kultige Seeungeheuer natürlich alles andere als ein Geheimtipp, tanzt auf den ersten Blick aber doch aus der Reihe besagter Gestalten.


Es ist wohl zu einem Großteil der zeitliche Abstand zum Leinwanddebut der Kollegen, der die Sonderstellung der Kreatur verantwortet, zumal die 1930er und 40er zweifellos das Golden Age des Universal Horrors darstellen. Zum Höhepunkt des Atomzeitalters wiederum, hat sich das Bild des Genres verändert und die mythologischen wie literarischen Inspirationen werden gegen neue Bedrohungsszenarien getauscht. So ist man selbst als jemand, der mit der klassischen Periode der universal’schen Schauergeschichten, sowie deren Protagonisten vertraut und verbunden ist, versucht, dieses Kind der 50er vorverurteilend als Hirngespinst „dieser Kids mit ihrem Rock ‘N‘ Roll und ihren riesigen Tierwesen“ abzutun. Ein Trugschluss, vor dem hiermit aus eigener Erfahrung gewarnt wird.


„Creature from The Black Lagoon“ meistert den Spagat zwischen Tradition des Hauses und neuer Mode nämlich bravourös. In bereits zitiertem Geiste Frankensteins beschwört die wissenschaftliche Einmischung in die Natur ein Unheil herauf, nunmehr wieder aus einem darwinistischen Blickwinkel wahrgenommen. Das Titelmonster gilt als Missing Link der Evolutionskette und Beweis für den Ursprung menschlichen Lebens im Wasser, das es mit erwartungsgemäß fatalen Folgen zu erforschen gilt. Das Bindeglied zwischen Tradition und Moderne bildet eine zeitlose Abenteuererzählung, die in Form einer gefährlichen Amazonasfahrt in Erscheinung tritt. Es ist alles da, wo es hingehört: ein nicht nur optisch durchaus gelungenes Ungeheuer in seinem wild-wuchernden Habitat, verheerender Forschungsdrang und tatsächlich höhere Spannungsdichte, als manch klassischer Vertreter der Filmreihe.


Zentral sind hierbei die beeindruckenden Unterwasseraufnahmen, die der drohenden Präsenz des amphibischen Hybriden vollste Ausdruckskraft verleihen. Alle, die schon einmal in offenem Gewässer schwimmend, eine Algenranke am Fuß gespürt haben, können betreffende Momente wohl in ihrer ganzen physischen Dimension mitfühlen. Mit dieser zeitgeistigen Neuschöpfung kehrt Universal aber auch zu einem differenzierten Rollentypus zurück, einer Figur abseits des personifizierten Übels, einem Wesen mit selbstverteidigendem Territorialverhalten, in dem deutlich erkennbar ein Herz schlummert. Die knapp bemessenen Spielminuten vergeuden keine Zeit und lassen nach ihrem Ablauf sogar den Wunsch nach etwas mehr aufkeimen, dem schließlich zwei Fortsetzungen nachkommen und den Kiemenmann endgültig als wohlverdiente Ikone der Popkultur etablieren. (Daniel Krunz)


Hans Steinke, Joe Bonomo, Charles Laughton als Dr. Moreau und Kathleen Burke als "Panther Woman" Lota in "Island of Lost Souls" (1932)



Von „The Mummy“ (1932) bis „Young Frankenstein“ (1974): Julian entdeckt ein Universum.


Die erste Hälfte des schaurigen Monats Oktober stand bei mir, ähnlich wie bei Kollege Daniel, ganz im Zeichen der Universal-Monster und damit von Filmen, die ich viel zu lange vor mir hergeschoben habe. Ich fühlte mich beim Schauen von „The Mummy“ von Boris Karloffs hypnotischem Blick derart beschwört, als wollte er mich, und nicht seine geliebte, altägyptische Prinzessin, wieder zum Leben erwecken. Bei Béla Lugosis Darstellung der ikonischen Figur Graf Dracula in „Dracula“ (1931), wurde ich unweigerlich immer wieder an einen Kindheitsfilm von mir, nämlich Mel Brooks‘ mäßig-guten „Dracula: Dead and Loving It“ (1995) erinnert, was nicht besonders überraschend ist, wo es sich doch um eine „eins zu eins“-Parodie handelt.


Daniel hat bereits von Peter Cushings Darstellung von Van Helsing geschrieben und natürlich ist dieser nur einer von vielen großartigen Schauspielern, die in den Genuss kommen durften. Aber wer weiß heute schon, dass die Figur des Dr. Van Helsing an eine historische Figur mit sehr großem Wien-Bezug angelehnt ist? Gerard van Swieten war Leibarzt der österreichischen Kaiserin Maria Theresia und wurde von eben dieser 1755 nach Mähren (Richtig: Nicht Transsylvanien) gesandt, um, reißerisch ausgedrückt, auf Vampirjagd zu gehen und weniger reißerisch ausgedrückt, um herauszufinden, ob es diese Wesen gibt. Entwarnung: Damals gab es sie jedenfalls noch nicht. Nach seiner Rückkehr nach Wien, hat er unter anderem die "Ältere Wiener Medizinische Schule" gegründet, die man als Vorläufer der heutigen Medizinischen Universität Wien bezeichnen kann.


Aber zurück zum Thema, also in den Oktober 2020: Schließlich musste ich mich einer anderen Figur widmen, immerhin war ich noch im selben Monat zum Podcast Otto und Sabrina haben einen Gast und reden über Filme eingeladen. Thema war Mel Brooks‘ „Young Frankenstein“ und die Folge kann man hier nachhören.


Die Figur des Frankenstein-Monsters ist ebenso wenig wie die des Graf Draculas oder die der Mumie auf dem nährstoffreichen Mist der Universal Studios gewachsen. Die Erste ist den Händen einer 19-jährigen, aufstrebenden Schriftstellerin namens Mary Shelley entsprungen, als sie mit ihrem Mann Percy Bysshe Shelley und dem Dichter von Weltrang Lord Byron am Genfer See Urlaub gemacht hat. Die poetische Künstler*innen-Partie hat sich eines regnerischen Abends ausgemacht, dass im Rahmen dieses Urlaubs alle eine Gruselgeschichte erfinden und die anderen daran teilhaben lassen sollten. Während die zwei Männer sich sehr schnell eine grandiose Geschichte aus den Ärmeln geschüttelt haben, hinderte Mary Shelleys perfektionistischer Anspruch den Entstehungsprozess. Eines Abends - sie waren alle schon ein wenig angetrunken und Mary Shelley nur noch am Zuhören - unterhielten sich die zwei Männer über den Ursprung des Lebens. Wo liegt er? Wird die Menschheit ihn je entdecken? Und wenn ja, wie kann diese Erkenntnis von Nutzen sein? Schnell fiel die Unterhaltung auf das Wiedererwecken der Toten, auf das Beseelen von Leichenteilen und den daraus entstehenden Möglichkeiten und Gefahren. In dieser Nacht hatte Mary Shelley einen Albtraum von eben diesen Bildern, von einem Monster, das aus verschiedenen Leichenteilen zusammengebaut und zum Leben erweckt wurde. Und das, ihr werdet es sicher schon erraten haben, ist die Geburtsstunde der legendären Geschichte um Dr. Frankenstein.


Tatsächlich habe ich mir den sehr erfreulichen Umstand dieser Podcast-Aufnahme zum Anlass genommen, den Roman zu lesen und ich muss sagen: Der angeblich allererste Science-Fiction-Roman der Literaturgeschichte weiß, trotz regelrechter Ausbeutung des Stoffes in der Popkultur, zu überraschen und zu überzeugen. Es hat mir viel Spaß bereitet, festzustellen, welche Verfilmungen mit welchen Elementen der Vorlage spielen. Man könnte vielleicht annehmen, dass die Universal-Verfilmungen von James Whale, nämlich „Frankenstein“ (1931) und „The Bride of Frankenstein“ (1935), sich am meisten am Buch orientieren. Dabei gibt es Passagen darin, die Whale gar nicht aufgreift, dafür aber in der wunderbaren Hammer-Verfilmung „The Curse of Frankenstein“ (1957) Eingang gefunden haben. Dort wird - zwar in abgeänderter Form, aber immerhin – zum Beispiel die Vorgeschichte von Viktor Frankenstein erzählt, eine wichtige und nicht gerade kurz geratene Passage des Buchs. Und wenn am Ende von Mel Brooks‘ „Frankenstein Junior“ das Monster im Bett liegt und eine Zeitung liest, dann ist das auf zumindest einer Ebene näher am Roman, als sämtliche mir bekannten Verfilmungen. In der ursprünglichen Geschichte findet das Monster bei einem seiner Streifzüge durch den Wald nämlich Bücher, mit denen es sich lesen beibringt. Bislang war es zwar der Sprache der Menschen mächtig, was aber nicht wirklich dazu beitrug, dass das Monster uns zu verstehen gelernt hat. Das hat es tatsächlich erst mit Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ getan. Demnach ist Brooks‘ Finale gar nicht so abwegig, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mochte.


Aus Hollywood hinaus, zum grindigen Haus: „I Drink Your Blood“ (1970)


Im Jahr 2007 haben Robert Rodriguez und Quentin Tarantino mit ihrem Double Feature keineswegs den Begriff „Grindhouse“ erfunden, aber ihn wieder back on the map gebracht. Im Oktober habe ich zwei Filme zum ersten Mal gesichtet, die sich hervorragend als ein solches Double Feature in einem, verzeiht mir die falsche Übersetzung ins Wienerische, „grindigen Haus“ – in Wien wäre das heute am ehesten noch das schikaneder, wobei „grindig“ natürlich als romantische Abgefucktheit zu verstehen ist – anbieten würden. „I Drink Your Blood“ & „Werewolves on Wheels“. Aber zunächst zum Begriff.


Das grindige Kino ist hier gar kein so abwegiges Bild, denn tatsächlich bezeichnet das Wort Grindhouse zunächst diesen Ort, das Lichtspielhaus. Selbstverständlich handelt es sich hier nicht um diejenigen, die die neuesten Hollywood-Kassenschlager spielten und auch nicht um diejenigen, die dem europäischen Autor*innenfilm huldigten, sondern eher um diejenigen, die die kleinen und dreckigen, die billigen und reißerischen, die anstößigen und grindigen Filme spielten. Die Rede ist von Exploitation-Kino par excellence, ob es sich nun um Rape and Revenge-Streifen, italienische Zombie-Kost oder surreale Softpornos á la Jess Franco handelte. Und gerne wurden diese Filme auch gleich im Doppelpack gezeigt, weshalb man Grindhouse eigentlich automatisch mit Double Features assoziiert.


In David E. Durstons „I Drink Your Blood“ finden wir uns am Anfang des Films in einem dunklen Wald wieder, zusammen mit auf LSD trippenden Satanist*innen. Diese vielleicht befremdliche Kombination aus (zugegeben) stereotypen Ideologiezuschreibungen, wird mit dem wunderschönen Zitat „Satan was an acidhead“ unterstrichen, legitimiert, für bare Münze erklärt. Soweit so gut. Es dauert nicht lange, da terrorisiert die Gruppe auch schon das Dorf, in welchem sie sich einnisten, insbesondere aber eine Familie darin. Nachdem die Tochter nämlich vergewaltigt wurde und der wütende Großvater die Gruppe zur Rede stellen will, wird eben dieser brutal verprügelt und schließlich auch noch unter die halluzinogene Wirkung der hippen Droge gesetzt. Darauf reagiert wiederum Enkelsohn und Bruder der beiden Opfer mit einem ausgeklügelten Plan: Er entnimmt Blut eines an Tollwut erkrankten Hundes, den er kurz davor im Wald erschossen hat, und mischt es, in der Hoffnung, dass die Gruppe bald sehr hungrig sein wird, in die Fleischpasteten der Dorfbäckerei. And guess what: Sein Plan geht auf. Doch leider erfährt das Dorf dadurch keinerlei Entlastung.


Am Bemerkenswertesten an diesem Film war für mich das Ende und ich entschuldige mich hier sogleich für diesen Spoiler eines 50 Jahre alten Nischenfilms: Die tollwütige Horde dreht durch, wütet durch die Kleinstadt, Menschen werden attackiert, Läden überrannt, Körper landen auf Motorhauben und bringen die Fahrzeuge zum Stillstand. Bilder also, die uns an andere Filme mit Epidemie-Thematik erinnern. Was ist nun daran bemerkenswert? Ganz einfach, „I Drink Your Blood“, der übrigens im Deutschen den viel passenderen Titel „Die Tollwütigen“ trägt, ist bereits 1970 erschienen und damit vor einschlägigen Klassikern wie „Dawn of the Dead“ (1978) oder „The Crazies“ (1973). Ein kleiner, dreckiger Trendsetter, wenn man so will.


Hausgemachte Beuschel-Kost & Synthiesounds: Der Italo-Zombiefilm


Apropos Zombies. Der Horrorctober endet logischer Weise mit Halloween und an diesem Tag gibt es traditioneller Weise auch viele Horrorfilme im Kino zu sehen. Wir von den Til Midnight Movies tun dieser Tradition natürlich keinen Abbruch und haben an diesem Tag im schikaneder dem italienischen Zombie-Kino der 80er Jahre gehuldigt. Zu sehen gab es den politisch hochgradig inkorrekten, aber unheimlich spaßigen „Zombie Holocaust“ (1980) und im Anschluss Lucio Fulcis absurdes Gore-Spektakel „The Beyond“ (1981).


Lucio Fulci kann man verehren oder auch hassen, seine Filme immer wieder anschauen, oder bereits beim ersten Mal gelangweilt sein. Irgendwie ist das alles in Ordnung und nachvollziehbar, denn wenn der gute Mann etwas nicht gemacht hat, dann konventionelles Kino. Und wenn er für etwas bekannt ist, dann für handgemachte Splatterszenen, die es vermögen, dem Publikum noch nach 40 Jahren, das Grausen zu lehren.


In „The Beyond“ ist es die in die Länge gezogene Szene einer Vogelspinnen-Attacke, an die man sich wohl sein ganzes Leben lang erinnern wird, auch wenn man normalerweise keine Angst vor Spinnen hat. Auch wenn es offensichtlich ist, dass es sich zum Teil nicht um echte Spinnen handelt (Betonung auf „zum Teil“), fühlt sich das Publikum in die am Boden liegende Person hineinversetzt und leidet mit, zumindest so lange ein menschliches Gesicht zu erkennen ist. Lucio Fulci liebt Tier-Attacken in seinen Filmen und ich liebe die Filme wegen der Tier-Attacken. Sie zählen schlichtweg immer zu den besten Szenen! Im großartigen "Voodoo - Die Schreckensinsel der Zombies" (1979) ist es ein atemberaubend schöner Kampf zwischen einem Unterwasser-Zombie und einem weißen Hai, der vielmehr einem durchchoreographierten Tanz gleicht, als einer Szene in einem B-Movie. Und in „Das Haus an der Friedhofsmauer“ (1981) ist es eine absurde Fledermaus-Attacke, die mehr die Lachmuskeln als den sonst zu Fulcis Filmen passenden Brechreiz strapaziert.


Was Lucio Fulci aber weniger gut konnte – und da stellt sich natürlich automatisch die Frage, ob es je seine Intention war – ist einen mitreißenden Spannungsbogen aufzuziehen. Seine Filme leben von den einzelnen Szenen, die zu einem guten Teil so einprägsam und ikonisch sind, dass sie für mich sämtliche Schwächen und Durchhänger im Film aber mit Links mittragen.


Satanistischer Hippie mit Tollwut in "I Drink Your Blood" (1970) von David E. Durston


Das waren sie also, unsere Highlights des diesjährigen Horrorctobers. Wir haben uns mit Christopher Lee und Peter Cushing in einer überraschend blutarmen Amicus-Anthologie an stimmungsgeladenen Bildern ergötzt, haben mit Dr. Moreau gleich ein paar Evolutions-Stufen übersprungen, sind den im Universal-Universum oft unbemerkten Gill Man begegnet, haben mit dem Frankenstein-Monster Goethe gelesen, mit satanistischen Hippies Acid genommen und mit Lucio Fulci die tierische Tötungslust zelebriert. Wir finden, es war ein gutes Monat.




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