STUART GORDON: SCIENCE, SEX & KÖRPERHORROR
EIN STREIFZUG DURCH STUART GORDONS FILMVERMÄCHTNIS
von Julian Stockinger

Herbert West (Jeffrey Combs) in "Re-Animator" (1985)
Mit dem Tod des 72-jährigen Stuart Gordon hat die Welt am 24. März 2020 eine Ikone des modernen Horrorfilms verloren. Ähnlich wie Regiekollegen Don Coscarelli („Phantasm“, 1979) und Sam Raimi („Evil Dead“, 1981) hat er mit seinem Low Budget-Spielfilmdebüt („Re-Animator“, 1985) in Fan-Kreisen sofortigen Kultstatus verliehen bekommen. Dieser und auch der nachfolgende „From Beyond“ (1986) stellen die bekanntesten und vielleicht auch besten Werke des Regisseurs dar. Einen Blick – beziehungsweise eine Sichtung – sind nichts desto trotz auch seine anderen Projekte wert. Aber first thing’s first.
Cat dead, details later.
Das von Stuart Gordon in die Welt gesetzte Unheil nimmt seinen Lauf, mit einer toten Katze im Kühlschrank. Der Verdacht liegt nahe, dass sie der mad scientist Herbert West, der eben erst zur Untermiete in den Keller gezogen ist, zu Versuchszwecken ermordet hat. Dieser bestreitet das vehement und meint, sie lediglich gefunden zu haben. Er habe natürlich ehestmöglich Bescheid geben wollen, doch bis jetzt leider keine Zeit dafür gefunden. Auf die Frage, weshalb er nicht zumindest eine Nachricht hinterlassen konnte, entgegnet er: „what would a note say, Dan? "Cat dead, details later"?“

Dan Cain (Bruce Abbott) und die tote Katze im Kühlschrank in "Re-Animator" (1985)
Die Rede ist natürlich vom 1985 erschienenen Horror-Klassiker „Re-Animator“. Und mit der oben beschriebenen Szene kommt auch schon das markanteste Merkmal von Gordons Handschrift zum Ausdruck: Das Grauen geht Hand in Hand mit subtilem, dunklem Humor. Und in der Inszenierung dieser beiden ist er ein Meister. Spätestens, wenn ein von Dr. West wieder zum Leben erweckter Wissenschaftler zur Orientierung seinen eigenen abgetrennten Kopf vor sich hin trägt, erlebt das Publikum diese für Gordons Filme typische Mischung aus Ekel und Belustigung.
Wenn der menschliche Körper zum Horror wird.
Stuart Gordons Liebe zum, von David Cronenberg begründeten, Body-Horror ist fast allen Filmen anzusehen, ebenso sein Spaß an ausufernden Splatterszenen. Nicht selten sind sie von hoch sexualisierter und schleimiger Natur, wie man vor allem in der zweiten Hälfte von „From Beyond“ bestaunen kann. Ob die Phallussymbole nun in der Luft schweben oder in Form von zu Eigenleben erwachter Zirbeldrüsen aus einer Stirnwunde schießen: Selten stellen sie ein gutes Omen dar. Selbst in „Daughter of Darkness“ (1990), ein für das Fernsehen gedrehter und verhältnismäßig sanfter Vampirfilm, ist Gordons Faible für deformierte Körper zu erkennen. Am beispielhaftesten am Biss der Untoten. Denn diese stillen ihren Durst nicht einfach mithilfe ihrer spitzen Eckzähne, sondern anhand einer sich spaltenden und auf der Innenseite mit feinen Zähnen ausgestatteten Zunge. Und wenn wir schon dabei sind: Sogar den kindertauglichen Filmen „Honey, I shrunk the Kids“ (1989) und „Honey, I blew up the Kid“ (1992), für die Stuart Gordon als Produzent und Autor fungierte, ist ein gewisser Hang zu dieser Thematik nicht abzustreiten. So gesehen hätte das Riesenkind aus dem Disney-Film genauso gut in einem von Gordons Splatterstreifen eine tragende Rolle spielen können.
Apropos: In seinem dritten Spielfilm „Dolls“ (1987) werden Menschen nicht aufgeblasen, sondern geschrumpft und in Puppen verwandelt. Es sei denn sie entsprechen den Moralvorstellungen der Besitzer*innen des unheimlichen Hauses, wo hilfesuchende Durchreisende Schutz finden. Dieser Puppen-Horror mit Gothic-Elementen kann übrigens, ein Jahr vor dem Erscheinen von „Child’s Play“ (1988), als Mitbegründer dieses Subgenres gesehen werden. Und die Message des spaßigen Horrorfilms ist bei aller Plakativität doch charmant: Lasst die Kinder Kinder sein und im besten Falle lernt noch was dabei! Am Ende wirken die zwei Alten, die die Leben ihrer Gäste auf den Buckeln haben, fast schon wie herzensgute Wohltäter*innen. Immerhin erkennen sie das Gute am Kindsein und haben das Böse, mit Hilfe ihrer versklavten Mörderpuppen, aus der Welt geschafft. Dieser Film zählt definitiv zu Gordons gern übersehenen Sternstunden!

Versklavte Mörderpuppen in "Dolls" (1987)
Die doppelte Bedrohung.
Ein gesellschaftskritischer Ansatz zieht sich ebenso durch das Werk des amerikanischen Provokateurs, wie seine Freude an Blut und Beuschel. Denn neben den „fantastischen“ Elementen in seinen Filmen, gibt es meistens auch eine „reale“ Bedrohung, oft in totalitär-politischem Gewand. So zittern die rumänischen Bürger*innen in „Daughter of Darkness“ nicht nur vor den Vampiren, sondern auch vor der Ceaușescu-Diktatur, in der sie leben. Die danach erschienene, tolle Edgar Allen Poe-Verfilmung „The Pit and the Pendulum“ (1991) spielt im ausgehenden 15. Jahrhundert in Spanien, wo der Bevölkerung politische und religiös begründete Willkür noch mittels ultrabrutaler Foltermethoden spürbar gemacht wurde. Und beim Schauen von „Body Snatchers“ (1993) stellt man sich automatisch die Frage, was nun das geringere Übel ist: die Alien-Invasion oder die Militärdiktatur? Oder um es mit den Worten General Platts zu sagen: „We've learned... it's the race that's important. Not the individual.“
Bei letztgenanntem Film hat nicht Gordon, sondern niemand geringeres als US-Enfant Terrible Abel Ferrara Regie geführt. Stuart Gordon hat nämlich, während er seine eigenen Filme oft gar nicht geschrieben hat, für so manch andere die Feder gezückt. „Body Snatchers“ stellt ohne Zweifel das beste Werk aus dieser Riege dar, ein Film wo übrigens auch Nischenfilm-Legende Larry Cohen als Autor beteiligt war. Besonders hervorzuheben ist, bezüglich der Zusammenarbeit mit anderen Regisseuren, insbesondere jene mit Brian Yuzna, welche bereits mit „Re-Animator“ ihren Anfang nahm.
Gordon als Drehbuchautor und Wegbegleiter.
Brian Yuzna hat der Welt nicht nur den inoffiziellen Bodyhorror-Prototyp „Society“ (1989) geschenkt, sondern auch beide „Re-Animator“-Fortsetzungen - „The Bride of Re-Animator“ (1989) und „Beyond Re-Animator“ (2003) - sowie zwei Filme, bei welchen wiederum Gordon für das Drehbuch verantwortlich war. „The Dentist“ (1996) handelt von einem in seiner Männlichkeit gekränkten Zahnarzt, der, wie Travis Bickle in Scorseses „Taxi Driver“, bemüht ist „in der Welt aufzuräumen“, doch den "menschlichen Abschaum" nicht auf der Straße, sondern in den Mündern seiner Patient*innen in Form von Karies sieht. Und zu bohren beginnt.
Der 1998 erschienene „Progeny“ hingegen beginnt ähnlich wie Richard Stanleys Lovecraft-Verfilmung „Color out of Space“ von 2019: Eine seltsame Farbe erhellt plötzlich durch das Fenster den Raum. Doch anders als in Stanleys Come-Back, landet das Außerirdische nicht in Kometen-Form im Garten, sondern in Baby-Form im Bauch der Frau. Und wie dieses da wieder rauskommt – das schaut ihr euch besser selbst an!
Yuzna wiederum war für Gordon in einigen Filmen als Produzent tätig, wenn es nicht gerade B-Movie-Legende Charles Band war, dessen Bruder Richard Band übrigens in vielen Gordon-Streifen für die Filmkomposition zuständig war. Und auch unter den Schauspieler*innen fand Gordon ein treues Team. Allen voran sei diesbezüglich seine eigene Ehefrau Carolyn-Purdy Gordon erwähnt, die er in seinen Filmen gerne auf sehr brutale Weise das Zeitliche segnen ließ.
Quellen der Inspiration. Wie kam ein Mensch auf so viel Wahnsinn?
Stuart Gordon dürfte viele Filme aus der B-Movies-Welle im Hollywood der 50er Jahre gesehen haben. Zumindest wirken seine ersten zwei Filme wie modernisierte (und mit Farbe ausgestattete) Beiträge aus dieser Ära. Das Filmmuseum Wien widmete auf der Viennale 2018 diesem Sujet übrigens eine eigene Retrospektive. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Erstlingswerke ist natürlich Autor H.P. Lovecraft, dessen Stoff für zwei weitere Gordon-Filme herhalten musste, nämlich für „Castle Freak“ (1995) und „Dagon“ (2001).
Diese unterscheiden sich von den vorangegangenen insofern, als sie eine gehörige Portion Gothic-Romantik servieren. Nichts desto trotz stellen sie Höhepunkte im Werk des Regisseurs dar, mit all den Facetten, die wir an seinen Filmen so lieben. Besonders "Dagon" vereint Gordons Stärken - also Gesellschaftskritik im Genregewand des humorvollen Splatter-Horror mit schlecht gealterten CGI-Effekten - zu einem letzten wahren Höhepunkt des Filmemachers. Es macht viel Spaß dem unbeholfenen Protagonisten durch das spanische Dorf zu folgen, in dem Menschen einen gewinnbringenden Gott anbeten und sich sukzessive in Meereslebewesen verwandeln. Als seinen einzigen Mitstreiter findet er übrigens den letzten überlebenden Menschen im Dorf: Einen obdachlosen Alkoholiker.

Ezequiel (Francisco Rabal) und Paul (Ezra Godden) in "Dagon" (2001)
Neben den B-Movies und den Lovecraft-Geschichten zählt vermutlich der Body-Horror-Begründer David Cronenberg zu Gordons Quellen der Inspiration. Ein Faible für deformierte, menschliche Körper sieht man Gordons Filmen bis zum Schluss an, auch wenn seine letzten drei Spielfilme das Reich des fantastischen Films verlassen und sich als Thriller positionieren, in deren Zentrum stets ein vom Pech verfolgter Protagonist gegen eine sich zuspitzende Abwärtsspirale ankämpft. Die nach einer brutalen Misshandlung entstandene Beule in "King of the Ants" (2003) könnte zum Beispiel direkt von einem schleimigen Alienkopf aus "From Beyond" entnommen sein. Ebenso nimmt sich Gordon in seinem letzten Spielfilm "Stuck" (2007) sehr viel Zeit für die Nahaufnahme einer Glasscherbe, die sich in den Unterleib des in der Windschutzscheibe feststeckenden Menschen bohrt. Auweh!
Zu sagen, dass Stuart Gordon nur Meisterwerke abgeliefert hat, wäre genau so falsch, wie zu behaupten, dass der Regisseur seiner eigenen Handschrift nicht von Anfang bis Ende treu geblieben ist. Und eines schaffen selbst seine schwächsten Werke: Sie ziehen das Publikum ab Sekunde eins in einen Bann, meistens angefangen bei einer großartigen Titelsequenz, die untermalt ist von der düster-atmosphärischen Musik von Richard Band (oder im Falle seines letzten Films "Stuck" von Gangster-Rap im Altersheim) und abschließend mit einem extrem blutigen Gemetzel, das an Weirdness seines Gleichen sucht.
A good doctor knows when to stop.
Am Anfang von "Re-Animator" will der noch lernende Arzt Dan den hoffnungslosen Herzstillstand einer Patientin nicht wahrhaben und hört trotz Hoffnungslosigkeit nicht auf zu reanimiert. Die anleitende Ärztin, die übrigens von Stuart Gordons Frau Carolyn-Purdy Gordon verkörpert wird, meint anschließend zu ihm: "A good doctor knows when to stop".
Nun, Stuart Gordon hat bereits 13 Jahre vor seinem Tod keine Filme mehr gemacht. Vielleicht gilt das also auch für Regisseure: Ein guter Regisseur weiß, wann Schluss ist.